- Wie jede Generation für ihre Kunst kämpft. -
Drei Jungs, Teenager und ihre Lagerbegleitperson, ich, kurz vor Dreissig, sitzen in einem Vierer-Abteil im Zug nach Lausanne. Wir haben einen sonnigen, langen Tag vor uns. Die Jungs sind noch etwas müde, würden gerne ihre Musik hören und chillen. Aber ich, die Lehrperson, bin zu wach und möchte die coolen Typen dazu bringen sich auszutauschen. Ich möchte über Musik reden. Also frage ich nach ihren Lieblingsmusiker. Rapper. Sie hören deutschen Rap. Mein Herz schlägt. Ich bin mit deutschem Rap und Soul aufgewachsen. Samy Deluxe, Kool Savas, Curse, Max Herre, Joy Denalane, auch Sido und Kitty Kat stehen auf der Liste von deutschem Rap, den ich mir bis heute anhöre. Was hört ihr denn so?, frage ich. Sie freuen sich über mein Interesse und einer der Jungs gibt mir einen seiner kabellosen iPhone-Kopfhörer. Ich stöpsle ihn mir ins Ohr und beim ersten Rhyme kommt mir fast das Frühstück wieder hoch. Ich schüttle den Kopf und lache. Ich lache sie aus, dass sie das deutschen Rap nennen. Ich schüttle so den Kopf, wie es Leute in meinem Alter taten, als ich so alt war wie die drei Möchtegern HipHoper, die vor und neben mir sitzen. In dem Moment mache ich es mir zur Aufgabe ihnen etwas zu lehren. Ich gebe ihnen Lieder an, die sich sich anhören sollen. Doch keines gefällt ihnen so richtig. Verteidigen ihre „Rapper“ in erhöhter Lautstärke. Ich werde langsam auch aggressiver. Sie reden von Battle Rap, aber haben keinen Ahnung vom Streit zwischen Kool Savas und Eko Fresh. Peinlich, meiner Meinung nach. Ich zeige ihnen „Das Urteil“. Sie sind nicht beeindruckt, behaupten, dass meine Musiker ja fast keine Followers auf Youtube hätten. Was hat das denn mit ihrer Musik zutun? Alles für sie, anscheinend. Lächerlich, für mich. Aber ich lasse ihr Unwissen nicht auf mir sitzen. Wie könnte ich? Der eine wird sogar leicht frech mit seinen Aussagen gegen den alten, guten Rap. (Ich mache es persönlich, ist mir schon klar.) Also fahre ich ihn leicht an: „Weisst du überhaupt, was Rap heisst?“
Oh, die Lehrerin in mir kommt zum Vorschein. Denn wenn ich ehrlich bin, weiss ich das auch erst seit Kurzem, weil ich ein Arbeitsblatt für Rap erstellt habe. Sie schütteln nicht einfach den Kopf, sondern erfinden komische Begriffe, die ihre Unsicherheit, dass sie jetzt im Stande waren zu verlieren, klarmacht und mir die Überhand gibt. Rhythm and Poetry. Komischerweise habe ich sie damit am Haken. Sie glauben mir endlich, dass ich etwas von Rap verstehe. Also erzähle ich ihnen mehr. Sie hängen an meinen Lippen. Ja, der Rap geht zurück auf die Kolonialisierung. Kam durch die Versklavung von sogenannte afrikanischen Storyteller (Geschichtenerzähler) nach Amerika. Erst Jahre später wird es der Ausdruck von Leid und Trauer von Schwarzen in Amerika, die sich auf den Strassen versammelten, rappten und tanzten. Es war ihre Kunst mit ihrem Schicksal umzugehen. Sie waren Poeten, hatten viel zu erzählen. Erst in den 80er, Anfang 90er findet der Rap seine Wege nach Deutschland, wo er den Sinn von kritischen, lauten Geschichtenerzähler beibehält. HipHop selbst wurde zur Bewegung, einer Lebenseinstellung, es ist nicht nur Musik. Ich beende meinen Monolog mit der Aussage, dass die Geschichte hinter dem Rap, die wahre Poesie viel zu wichtig wäre, um sie nicht zu kennen, nicht? Der eine nickt, der andere sagt plötzlich, er höre auch gerne Tupac. Ich lächle. Wer nicht? Wir werden ruhig und die Jungs hören sich "Changes" an. Den ganzen Tag, das ganze Lager lang zweifeln sie nicht mehr an meinem Musikgeschmack. Sie hören noch immer ihren postmodernen Rap-Mist.
Ich weiss gerade nicht, wie ich diesen Text beenden soll, was genau die Quintessenz ist. Vielleicht allein, dass auch jeder Leser dieser Zeilen nun weiss, woher Rap kommt. Oder wie witzig doch die Tatsache ist, dass zwar der Musikgeschmack sich ändert, aber nicht, dass jede Generation den eigenen vehement vertritt. Some things never change.