- Scheitern im kreativen Prozess. -
Kreativ zu sein bedeutet keine Angst vor dem Scheitern zu haben. Wie können wir sagen, dass wir lösungsorientiert denken, wenn wir nicht ausprobieren, scheitern und von vorn beginnen, bis wir die richtige Lösung gefunden haben? Scheitern gehört zum kreativen Prozess dazu und es ist dieser Fakt, der am Meisten vergessen geht.
Irgendwer hat mir einst von diesem Kursleiter erzählt, der in seinen Trainings seinen Teilnehmenden das Jonglieren gelehrt hat. Er hat es anscheinend geschafft, dass am Ende des Kurses alle Jonglieren konnten. Was das mit meinem Thema hier zutun hat? Das habe ich anfangs auch gedacht. Es war die Art und Weise wie er es gelehrt hat. Er hatte seine Teilnehmenden die Bälle erst tausend Mal zu Boden fallen lassen. Bevor sie sie überhaupt hoch werfen durften. Weshalb? Damit sie keine Angst mehr vor dem Scheitern hatten. Dass das Scheitern, im Fall des Jonglieren; die Bälle fallen zu lassen, keine Hemmungen mehr auslöste. Dieser Aspekt öffnete mir die Augen und ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich nun bereits über die Strategie gesprochen habe. Es hat mich mehr und mehr motiviert, darüber nachzudenken inwiefern meine didaktischen Prinzipien mit diesem Aspekt zusammen hingen. Musste ich also meine Schreiberlinge zuerst scheitern lassen? Und wie würde das beim Schreiben aussehen? Böse Kritiken? Schwierige, literarische Übungen zuerst? Ich bemerkte, dass ich mir diese Fragen viel zu früh stellte. Es gab viel mehr und anderes zu bedenken. Ich musste zuerst das Scheitern selbst verstehen. Denn bei näherem Überlegen wurde mir bewusst, dass ich in meinem Leben nicht oft gescheitert war. Meistens gingen meine Pläne auf und wenn nicht, dann lenkte der Weg vom Scheitern ab. Meine positiven Gedanken liessen ein Scheitern nicht zu, weil ich nichts als Scheitern betrachtete, nicht im negativen Sinn. Ich grub tief um wichtige Zeitpunkte des Scheiterns aufzudecken. Folgender ist mir noch präsent. Mein erstes Buch „Die andern nennen mich Schlampe“ wurde damals von meinen Mitstudenten zerrissen. Sie lasen nur ein Kapitel, aber sie fanden die ganze Geschichte sinnlos. Ein Jahr später war ich mit genau diesem Buch bei einem Berliner Verlag unter Vertrag. (Ich muss gerade lachen. Denn wo genau, erkennt man nun ein Scheitern??) Es wurde kein Bestseller. (Vielleicht deshalb?) Ich habe bis heute nicht wirklich an diesem Buch verdient, aber trotzdem nicht aufgehört zu schreiben. Würde ich auch nie tun. Ich bin minimal mit dem Schreiben gescheitert, aber ich denke, ich hatte bereits früh eine hohe Frustrationstoleranz. Ein wichtiges Stichwort, das ich auch oft in meinen Kursen benutze. Kreativität schafft eine höhere Frustrationstoleranz. Ein Begriff, der für mich einen Bogen schliesst zwischen Kreativität und dem Scheitern. Die Frustrationstoleranz ist die Fähigkeit mit Enttäuschungen, Schmerz, Trauer und Frust umzugehen. Verlieren wir also die Angst vor dem Scheitern, erhöht das automatisch unsere Toleranz dessen gegenüber. Wir steigern dabei die Motivation lösungsorientiert zu denken und handeln. Ergo, wir sind kreativ.
Seit ich mit dem Thema Scheitern beschäftige, lasse ich mich öfter scheitern. Ich möchte genau erfahren, wie effektiv es ist. Ich habe noch nicht gelernt zu jonglieren, aber ich finde mehr und mehr meine Balance im Leben. Wie das Scheitern und der Erfolg dazu gehört und wie sie mich beide weiter bringen. Manchmal scheitere ich. Manchmal gewinne ich. Und eines ist dabei gewiss: Ich bin kreativ.