- Wenn mich Kinder nerven. -
Babys nerven mich nicht. Das mal voraus. Sie können weinen, wie sie wollen, sie können volle Windeln haben, alles in den Mund nehmen, viel schlafen und dabei schlicht langweilig sein. Sie dürfen sogar ohne Vorsicht überall hinrennen, ohne dass sie mich irgendwie stören. „Nänä“ und „bläblä nng ooh nalaa“ ist Musik in meinen Ohren. Der Wunsch nach Kommunikation, oder eher wie sie kommunizieren, fasziniert mich ungemein. Und wenn sie lachen, geht für mich die Sonne auf. Sie sind pur Mensch. In einer Abhängigkeit und Verbundenheit mit ihren Mitmenschen. Ihre Umwelt birgt so viel neues, das sie nur unbewusst mit ihrem genetischen Vorwissen koppeln können. Sie lassen alles auf sich zukommen, ohne sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen. Sie lieben bedingungslos. Sie leben im Einklang mit ihrer Umgebung und genau hier schliesse ich den Bogen zu Kindern (circa 4-12). Je nachdem wie ihr Umfeld sie verformt, werden sie, sobald sie reden können, zu nervtötenden Monstern. Brutale Aussage, ich weiss. Und natürlich nicht auf jedes Kind übertragbar.
Ich begann diesen Text, als ich in einem Migros Restaurant einen kleinen Jungen, ich vermute fünf Jahre alt, beobachtete, der in dem Moment nicht nur seiner Mutter auf den Wecker ging. Er brüllte weinend, irgendwas stimmte nicht mit der Maske, die er von der Migros geschenkt bekommen hatte. Er weinte über ein Geschenk! Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Babys weinen, weil sie keinen anderen Weg kennen sich mitzuteilen. Weinen heisst bei ihnen, dass die Grundbedürfnisse nicht gedeckt sind. Sobald Kinder aber sprechen können, hätten sie die Fähigkeit sich anders mitzuteilen, aber dabei geht es oft nicht mehr um Grundbedürfnisse. Sie weinen, weil sie keine Schokolade kriegen. Sie weinen, weil ihr Lieblingsspielzeug gerade vom kleinen Bruder inspiziert wird. Sie weinen, weil sie Brokkoli auf dem Teller haben. Babys mutieren zu egoistischen Wesen. Empathie ist noch ein Fremdwort. Wortwörtlich. Mit dieser Phase komme ich schlecht klar. Obwohl die meisten Kinder ja gar nichts dafür können, dass sie egoistisch denken und handeln. Sie kommen aus einer Abhängigkeit und man erwartet plötzlich, dass sie unabhängig sind. Beängstigend. Die meisten Eltern können sich die Zeit nicht nehmen, diesen Übergang sanft und selbstgesteuert geschehen zu lassen.
Plötzlich frage ich mich - weil das Wort in meinem Kopf hängen geblieben ist -, wann entwickelt sich Empathie? Ich unterbreche mein Schreiben und forsche nach. Anscheinend entwickeln Kindern frühestens mit 18 Monaten Einfühlungsvermögen (so genannte egozentrische Empathie) und die meisten Eltern, so der Beobachter*, spielen immerzu ihre Elternrolle und vermindern so die Chance den Kindern Mitgefühl zu lehren. Was so viel hiesse, wie dass sie oft ihre eigenen Gefühl zurückhalten (Trauer, Frust uvm) um ihre Kinder zu schützen. Experten verglichen es mit der Sprache: Wer nie jemanden reden hören würde, würde auch nie selbst sprechen. Wie auch? Genauso handhabt es sich mit Gefühlen. Ganz ehrlich, mein Vorwurf ging unbewusst auch an die Eltern und doch bin ich überrascht, dass Fachleute klar sagen, dass Empathie an der Erziehung liegt. Ich muss kurz schmunzeln. Ich weiss nicht, weshalb ich mich diesem Thema annahm. Anfangs war es schlicht dieses Kind, dass grundlos in der Migros rumbrüllte und plötzlich merke ich, dass dieses Thema viel grösser für mich ist. Obwohl ich noch keine Kinder habe, noch keine Tante bin und mich grundsätzlich von Kindern in dem Alter fern halte.
Ich arbeite mit Jugendlichen, weil ich ihnen das Potenzial von Kreativität ermöglichen möchte. Viele Themen vereinen sich dabei, denn Empathie wird durch Kreativität verstärkt. Ich komme also nicht umhin zu fragen: Wenn die Empathie sich mit 18 Monaten zu entwickeln beginnt, aber die weitere Entwicklung von der Umgebung gekappt wird, könnte das auch ein Grund sein, dass wir unser kreatives Potenzial nicht erkennen oder verlernen und - um noch einen Schritt weiter zu gehen - es der Menschheit an Toleranz und Respekt fehlt? Die Thematik füllt meine Gedanken, überschwemmt mich mit Folgefragen, doch ich bin längst nicht bei irgendwelchen Antworten. So nur noch eins; ich möchte unbedingt Mama werden und ich verspreche hier und heute meinen Kindern Empathie zu lehren, mir Zeit für sie zu nehmen, um ihnen den Weg zu einem selbstständigen Menschen zu erleichtern und doch für immer in Liebe mit ihnen verbunden zu sein. Zu romantische Vorstellung? Wir werden sehen. Immerhin habe ich durch das Nachforschen von der Entwicklung der Empathie von Kleinkindern etwas weiteres gelernt: Anscheinend ist ein guter Trick den Kindern Geschichten vorzulesen, weil sie sich dadurch in andere Figuren versetzen müssen, können, sollen, dürfen. Was denkt ihr wohl, wie das eine Autorin handhaben wird?
* „Ich weiss, was du fühlst.“, Käther Bänziger, Beobachter, 13.7.17