- Wenn wir unsere Gäste bewerten würden. -
Beginnen möchte ich wütend. Nicht wütend, leicht angepisst. Dann ist es mir wichtig schnellst möglich zu den positiven Gründen zu kommen, weshalb ich es liebe seit über 10 Jahren immer wieder in der Gastronomie zu arbeiten.
Einst las ich eine Bewertung eines Gastes, die anscheinend das erste Mal bei uns war, nichts konsumierte und in Wut uns einen schlechten Ruf aufdrücken wollte. Ich erinnerte mich an sie. Sie ignorierte damals meine Begrüssung als Hostess, lief an mir vorbei und setzte sich irgendwo hin. Ich musste mehrere Reservationen herumschieben, damit sie da sitzen bleiben konnte - wir versuchen schliesslich alles. Ich war aber der Meinung, dass sie das auch wissen durfte. So begrüsste ich sie erneut am Tisch, machte sie humorvoll darauf aufmerksam, dass sie mich ignoriert hatte und brachte ihr gleichzeitig eine Karte, damit unser Service wusste, dass sie neu war und bedient werden konnte. Wenige Minuten später war sie wieder verschwunden. Mein ganzer Aufwand für nichts und in ihrer Bewertung durfte ich mir dann sagen lassen, dass ich unfreundlich war und wir nur einen Punkt verdient hatten. (Ich atme kurz tief ein) Ich habe so viel Verständnis für sie. In ihrer Wahrnehmung war alles richtig, was sie getan hatte. Was ich jedoch schade finde ist, dass sie ihren Frust öffentlich machte und nicht auf mich zukam und mich auf ihre Enttäuschung ansprach. Ich erinnere mich aus einem Grund an sie. Weil solche Fälle kaum vorkommen. Wir haben meist die tollsten Gäste, die ich mir wünschen könnte. Respektvolle und freundliche Menschen gehen bei uns ein und aus und von unseren Stammgästen gar nicht zu sprechen.
Vor zehn Jahren habe ich im ältesten Café von Zürich gearbeitet, bekannt für ihre heisse Schokolade und in jedem Reiseführer erwähnt, wodurch ich alle meine Sprachen nutzen konnte, weil allein die Optik des Cafés die Touristen anzog. Unser Team war toll, die Gäste meistens nicht. Kaum jemand ist mir in positiver Erinnerung geblieben. Vielleicht war ich noch zu jung, um mit den Launen der Menschen umzugehen, denn etwas wurde mir klar; sie lassen sie oft am Servicepersonal aus. Bei meinem Abschied klebte ich meinem Team eine Auflistung der dümmsten Aussagen unserer damaligen Gäste ans Büffet. Sie sollte sie zum Lachen bringen, wenn sie jemanden aufgrund tragischer Respektlosigkeit hochkantig rausschmeissen wollten, aber dabei immer lächeln sollten. Oder Dummheit. Dummheit und Respektlosigkeit sieht man, glaube ich, kaum so oft wie wenn man in der Gastronomie arbeitet. Treffen sich Gastronomen gibt es tolle Geschichten zu erzählen. Wie zum Beispiel von dem einen Gast, der unter dem halbgeschlossenen Rollladen in unseren Laden kroch und fragte, ob wir geöffnet wären. Yep, bei uns muss man immer zuerst Limbo tanzen, um einen Kaffee zu kriegen. Nicht.
Hat sich mal jemand gefragt, wieso es in der Gastronomie nicht Kunde, sondern Gast heisst? Einfach so als Input zum Nachdenken. *zwinker*
Mir fällt gerade auf, dass ein Gedanke bei einem Restaurant- oder Cafébesuch bei den Gästen oft verloren geht. Es darf zu einem schönem Erlebnis werden. Die Wertschätzung es sich leisten zu können, sich hinzusetzen und für eine bis mehrere Stunden verwöhnen zu lassen, nichts tun zu müssen und dabei schmeck- und fassbare Kunst mitzuerleben, gerät im Alltag meistens in Vergessenheit. (Hier ein Gruss an unsere Chefköchin. Sabina, du bist für mich eine unglaubliche Künstlerin und es ist Liebe, deine Ideen und Gedanken auf der Zunge zergehen zu lassen.) Mir ist bewusst, dass nicht jeder Gastrobetrieb gleich gestrickt ist und es ist auch bekannt, dass Gastroleute kritische und manchmal die nervigsten Gäste sind. Aber im Job werden wird darin gelehrt, freundlich zu unseren Gästen zu sein, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen, ihnen von der Begrüssung bis zum Bezahlen zuvorkommend zur Seite zu stehen. Immer mit einem Lächeln im Gesicht. Und das tun wir gerne, wenn man mit uns genauso respektvoll umgeht. Eine freundliche Begrüssung, ein Lächeln zum Start macht den Aufenthalt sicher angenehmer. Sonderwünsche bei der Bestellung sind meistens vollkommen in Ordnung, aber wenn nicht, ist es kein Grund das Servicepersonal dafür zu bestrafen. Wartet man ehrliche 30min bereits aufs Essen, ist es legitim nachzufragen. Genauso ist es legitim sich bemerkbar zu machen, wenn man lange nicht bedient wird, aber Achtung und Augen auf; rennt das Personal umher, ist das Restaurant/das Café vollgestopft? Gebt uns Zeit, wir können nicht mehr, als Gas geben, haben auch nicht mehr als zwei Arme. Und hier weitere wirklich lieb gemeinte Tipps für Gäste; setzt euch nicht einfach an einen noch mit Teller und Tassen der vorherigen Gäste vollgestellten Tisch. Stellt euch auch nicht an einen noch besetzten Tisch, lasst den anderen Gästen Zeit ohne Druck ihren Aufenthalt zu beenden. In der Schweiz ist ein Trinkgeld von 5-10% angemessen. Aufrunden ist auch mal okay und war der Service so schlecht, ist keines angebracht. Verzichten können wir aber auf eure Restrappen im Portemonnaie, wie zum Beispiel alle 5 Räppler, die noch rumliegen, so nötig haben wir es auch wieder nicht und als Wertschätzung des guten Services wird das nicht unbedingt wahrgenommen.
Die Beziehung zwischen Servicepersonal und Gästen ist das eine. Aber legen wir den Fokus noch kurz auf die Betriebe. Ich denke nämlich, es steht und fällt mit dem Chef und der Philosophie der Geschäftsleitung. Ist das Personal extrem unfreundlich? Stimmt das Preis-/Leistungsverhältnis nicht? Sind wir doch ehrlich, egal in welcher Branche, wir arbeiten mit viel mehr Freude an einem Ort, wenn wir von der Firma gut behandelt werden, hinter dem Betrieb stehen können und einen respektvollen Umgang erleben. So wundert es mich nicht, dass das Personal einer profitliebenden Grossfirma mir demotiviert einen stinknormalen Burger für 40 Franken verkauft, aber selbst zum Mindestlohn arbeiten muss. Das kann für mich als Gast nicht zu einem unvergesslich schönem Erlebnis werden.
Ich habe heutzutage das Privileg an einem Ort zu arbeiten, bei dem auf die Qualität der Produkte (regional&saisonal), dem Wohlergehen des Personals und der Stimmung im Betrieb geachtet wird.
Und so äussert es sich auch bei unseren Gästen. Wir haben kaum arrogante Gäste, wenig dumme Fragen, mehr Respekt uns gegenüber, wenige 8er-Gruppen, bei welchen alle einzeln bezahlen möchten und dabei kein Rappen Trinkgeld übrig lassen. Das erste Mal arbeite ich in einem Gastrobetrieb, bei dem das Team miteinander tief befreundet ist und ich mich über 96% der Gäste freue. Mir fällt gerade auf, dass das, was es ausmacht eins ist: Bei uns ist man grundsätzlich glücklich. Unsere Gäste sind glückliche Menschen. Ein wunderschöner Gedanke und ich wünschte, er würde in einer der Bewertungen stehen.