- Wo meine Fantasie am Besten wirkt. -
„In der Regel lande ich in einem süssen Café in Azmoos, ein kleines Dorf in der Nähe von Sargans. Dort kann ich bis zu acht Stunden am Stück beschäftigt sein. Wenn ich schreibe, tauche ich ganz in meiner eigenen Welt unter. Ich vergesse alles um mich herum, so auch das Essen. Doch zum Glück kennen mich die Leute dort schon ziemlich gut. Es heisst dann oft um zwölf Uhr: “Lina, Mittagessen!“ Bevor ich mich schliesslich nach Hause begebe, unternehme ich noch einen langen und intensiven Spaziergang. Hinterher setze ich mich auf eine Bank, lasse nochmals alles Revue passieren und komme allmählich wieder in die Realität zurück.“ (aus einem Interview von F. Pertoldi, November 2016)
Schreiborte. Ein wichtiges Thema für Schreiberlinge, weil sie genauso individuell sind wie ihr Schreiben selbst. Zwei meiner Autorenkolleginnen haben sich bei sich Zuhause einen dafür geeigneten Ort eingerichtet. Sie haben dadurch die Möglichkeit mitten in der Nacht sich mit einer Idee an den Schreibtisch zu setzen und loszulegen. Ich hingegen fahre erst eine Weile umher. Für mich muss der Weg inspirierend sein. So ist es, dass wenn ich nach Luzern möchte um zu schreiben, mit dem Zug anreise, wobei ich sonst eher mein Auto brauche und es liebe während der Fahrt bereits Herzballaden mit zu trällern.
Um zu schreiben, dem Schreiben Raum zu geben, gibt es einige Tipps, die man beherzigen kann. Der richtige Stift, der gut in der Hand liegt und dem Druck des Schreibers angepasst Farbe abgibt, ein besonderes Notizbuch, liniert oder nicht, was einem mehr entspricht, oder ein elektronisches Gerät, bei dem sich die Gedanken schnell abtippen lassen, dafür muss die Tastatur aber genauso nachkommen. Manche brauchen auch ein Ritual um in Schreibstimmung zu kommen. Und dessen sind keine Grenzen gesetzt. Es kann von der richtigen Teesorte, zu einer vorgängiger Schreibübung, zu - wie bei mir - einer Autofahrt reichen. (An alle Schreiberlinge da draussen, schreibt mir: Was macht ihr, bevor ihr schreibt? Ich empfinde mich nämlich als langweilig, weil ich seit Jahren keine neuen Rituale ausprobiert habe.) In einer letztjährigen Schreibgruppe gab es zwei Mädels, die als Einstieg Bilder von ihren Lieblingsmusiker betrachtet haben. Ich war fasziniert und begeistert, weil es aufzeigte, dass jeder seine eigenen Wege hat. Oder der eine Junge, der immer das exakt selbe Liebeslied hörte, obwohl er einen Thriller schrieb. Bei meinen Kursteilnehmenden kann ich für das Finden solcher Rituale oder Hilfsmittel zur Seite stehen, oder sie auf bereits bestehende aufmerksam machen. Ich habe meine Rituale lange nicht erkannt und mich dann genervt, wenn ich nicht einfach schreiben konnte. Die Erkenntnis, dass dafür alle Rahmenbedingungen stimmen müssen und ich sie mir aber selbst erschaffen kann, hat lange auf sich warten lassen. Und einen bestimmten Schreibort habe ich lange nicht akzeptiert.
Es hat mit meinem zweiten veröffentlichen Buch begonnen. Damals habe ich eine Geschichte geschrieben, die viel mit diesem Dorf zutun hatte, ohne jetzt die ganze Geschichte nochmals zu erzählen (Lest bei Interesse „Die andern nennen mich Schlampe“). So kam ich für das letzte Kapitel ein letztes Mal hier her, so dachte ich zumindest. Aber so begann eine reale Geschichte, die sich über die Jahre hinwegzog, die dazu führte, dass dieses Café ein wichtiger Teil für mich als Autorin wurde und die anfänglichen Gründe hierher zu kommen verschwanden mit den Jahren.
Es windet hier. Aber der Wind ist warm. „Wir haben Glück, wir haben den Föhn“, lächelte die Servierdame aus dem Betagtenheim. Aber ich musste ihr Recht geben. Wo konnte man schon draussen sitzen, obwohl die Sonne hinter fetten Wolken versteckt war? Ich mag dieses Dorf, ( … ) Ich liebe die Atmosphäre hier und die Ruhe. Die alten Bauten und das typisch Schweizerische. Ich mag es so sehr, dass mir ein leises Lächeln auf den Lippen liegt, wenn ich an die vielen Stunden denke, die ich hier bereits verbracht hatte. ( … ) Jetzt ist es schön, dass viele Erinnerungen freigesetzt werden und mich zum Schreiben bringen. (Mai 2015, Azmoos)
Ein tolles Phänomen im Rheintal. Egal wie stürmisch Zürich sein konnte, hier schien oft die Sonne, oder es war einige Grad Celsius wärmer. Die Sonne führt mich zu einem weiteren Schreibort. San Diego. Ja, es gibt kaum ein Ort in San Diego, an dem ich nicht schreiben kann. In San Diego lebe ich mich als Autorin aus. Deshalb wird die Schreibblockade meines neuen Romans wohl erst gelöst, wenn ich endlich wieder an meinem Seelenort ankomme. Aber dazu in einem anderen Artikel mehr. Bis dahin träume ich im regnerischen Februar in Azmoos davon, auf der Terrasse an den Sunset Cliffs zu sitzen und schreibend den Sonnenuntergang zu begleiten und tue, was ich hier im Betagtenheim am Besten kann; schreiben.
Und so möchte ich mich auch endlich mit ganzem Herzen bei Heidi und ihrem Team bedanken. Dass sie seit Jahren eine Zürcher Autorin jederzeit willkommen heissen. Ihr seid wichtig, ihr macht diesen Ort aus. Danke!