- Mein Grossvater, der Glaube und ich -
Habt ihr euch bereits intensiv mit dem Thema „Glaube“ auseinander gesetzt? Geschieht das als Mensch automatisch? In immer wieder neuen Lebenslagen kommen mir all diese grossen Fragen in den Sinn. Inwiefern und wie lange ich mich dann damit beschäftige, kommt immer auf die Lebenslage an. Momentan habe ich Zeit. Während sich die meisten Gedanken zum Coronavirus und dessen Auswirkungen machen, investiere ich genauso viel Zeit hinter die Fassaden zu blicken. Ich möchte tiefer sehen. Aber was heisst das?
So habe ich mich entschieden, eine kleine Reihe zu kreieren, die nichts mit dem momentanen Weltgeschehen zutun hat. Mit ein bisschen Glaube, ein bisschen kreativem Tun und viel Liebe. Als Ablenkung? Vielleicht. Für euch oder mich? Spielt das eine Rolle?
Dieser Text ist jedenfalls meinem Grossvater gewidmet, den ich nie in meine Arme schliessen konnte.
Vor Jahren, es müssen mindestens 8 sein, war ich bei einem so genannten Medium. Sie konnte sich, nach ihrer Aussage, mit körperlosen Seelen kommunizieren. Ich kam durch Mundpropaganda zu ihr, weil sie diese Gabe nicht mit jedem teilte, es ging ihr nie darum, Geld damit zu machen. Es ist mir wichtig, das zu erwähnen, weil ich in meinem Leben vielen begegnet bin, die ihre Profite aus Lügen schöpften. So etwas war mir immer zuwider und unterstützte ich in keinem Atemzug. Sie war nicht so und sie berührte mich. Sie war ein Sonnenschein. Ich erinnere mich nicht mehr an ihr Aussehen, nicht mehr wie sie sich anhörte, oder wie es bei ihr Zuhause roch. Ich erinnere mich nur noch daran, dass als sie die Tür aufmachte, die Sonne aufging. Sie war pur und wahr. Deshalb nahmen mich ihre Worte damals mit. Inwiefern sie mein Leben beeinflussten, möchte ich gar nicht mehr zurückführen.
Sie war die erste, die mir von meinem Grossvater erzählte. Er war gestorben, als mein Vater Kind war. Er war kein Tabuthema, aber er kam auch nicht oft zur Sprache. Bis zu dem Moment bei dieser fremden Frau war er für mich ein Fremder, den ich auch nie kennen lernen würde. Wie auch? Ich lächle, denn ich kenne ihn heute besser, als meine beiden Stiefgrossväter, mit welchen ich aufgewachsen bin. Aber ich möchte nicht vorgreifen.
Sie erzählte mir von seiner Anwesenheit und dass er für mich da sein wollte. Dass er stolz auf mich war, was ich aus meinem Leben machte, dass ich meinen Weg beibehalten sollte, ihm vertrauen sollte. Sie sagte, mein Vater hätte etwas von ihm, das in mein Besitz geraten sollte. Etwas von ihm, das mich begleiten sollte. Ich könnte ihm so näher sein, aus seiner Begleitung schöpfen. Ganz ehrlich, ich konnte mit diesen Infos nicht viel anfangen.
Eine Woche später war es vergessen. Als meine Familie sich für ein Mittagessen zusammen fand. Mein Vater erzählte aus dem Nichts, mit Unwissen über meinen Besuch beim Medium, dass er nun endlich die Briefe bekommen hatte, die sein Vater mit Hermann Hesse ausgetauscht hatte. Was mein Vater genauso wenig wusste war, dass Hermann Hesse in meinem Autorenleben eine grosse Rolle spielte. Er war der Autor, dem ich mich verbunden fühlte, ich fühlte mich von ihm verstanden. So komisch das klingen mag. Mir stand der Mund offen. Mein Vater hatte bis zu diesem Tag nie erwähnt, dass mein Grossvater in Kontakt mit Hermann Hesse stand. Ich musste diese Briefe sehen. Das geschah aber nie. Weil es in Vergessenheit geriet. Das Leben lenkte ab.
Bis meine Oma mich eines Tages, Jahre später anrief und meinte, sie hätte beim Umzug eine Mappe meines Grossvaters gefunden. Ich wäre ja nicht die erste Autorin in der Familie. Wenige Tage später lag der Inhalt dieser Mappe auf dem Tisch vor uns ausgebreitet. Ich verschlang die Sonettes, die Gedichte, die Briefe. Sie rochen nach einer anderen Welt, die Welt meines Grossvaters, der ein besonnener Autor war, der veröffentlicht worden wäre, wenn der Krieg nicht stattgefunden hätte. Doch all sein Geschriebenes lag plötzlich vor mir. Er war ein grosser Schriftsteller. Begnadet. Und meine Oma begann zu erzählen. Dinge, die ich nie zuvor gehört hatte. Er lebte in seinen Welten, ging darin auf, schrieb sie nieder. Und ich lebte das Leben, das er sich immer gewünscht hatte. Er war mir plötzlich so nah. In dem Moment glaubte ich zu 100%, dass mein Grossvater mich begleitete. Was ich heute für meinen Grossvater empfinde, ist pure und echte Liebe. Ich bin unendlich dankbar, dass er durch das Schreiben irgendwie mit mir verbunden ist.
Woran glaube ich? Ich glaube daran, dass mein Grossvater an meiner Seite steht, in einer Form, die ich nicht erklären kann und auch nicht muss. Meine erste Teilantwort zu einer grossen Frage. Der Beginn einer Antwort, hinweisend wie sehr die Frage mit Liebe und Verbundenheit zutun hat.
Über meinen Grossvater zu schreiben kostet immer viel Energie, positive, aber trotzdem. Ich werde müde. Und die Frage wird nicht kleiner, doch scheint mich kurz zu erdrücken. Ich setze mich zu einem späteren Zeitpunkt wieder damit auseinander. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut.
Das Schreiben, mein Grossvater, die Liebe. Sie vereinen, nicht woran ich glaube, sondern was ich weiss.