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Fragaria

- cute meet -

 

Der süsse Saft der frischen Erdbeere gelangt auf meine danach lechzende Zunge. Ich lächle. Das letzte Mal als ich Erdbeeren ass, sah ich dich. Ich beisse in die nächste rote, säuerlich und doch so sanft süsse Frucht und fahre mir mit der Zunge den Lippen nach und sehe dich vor mir. Ich müsste schreiben. Meine Lektorin erwartet den nächsten Roman. Aber deine Augen, dein Lächeln, der köstliche Geschmack der Fragaria lassen mich Träumen. Von dir und mir. Von uns und dem Moment im Bus. In meinen Finger juckt es und ich frage mich, ob es bei solchen Geschichten jemals ein Happy End gibt.

 

Zwei junge Menschen auf dem Weg irgendwohin. Wer weiss, er vielleicht auf dem Weg zu seinem Elternhaus, weil er lieber in der Stadt wohnt, als in einem Vorort von Zürich. Das Mädchen trifft vielleicht eine alte Freundin aus ihrem Sprachaufenthalt, die sie seither nicht mehr gesehen hat und eine Grillparty mit Leuten schmeisst, die sie alle nicht kennt. Nun eben, die Zwei im Bus, auf dem Weg irgendwohin. Die meisten Plätze im Bus sind nicht besetzt, aber doch so, dass die Zweiteinsteiger sich dazu setzen müssen. Das Mädchen hätte gehofft, die Fahrt alleine mit ihrem Buch auf einem Zweiersitz zu verbringen, aber der Junge störte sie nicht. Gut, das nehmen wir als Grundsituation. Wichtig bei einer solchen Geschichte ist der Auslöser zu einem Gespräch. Nicht leicht, wenn alle ihre Fahrscheine haben, es keine Kontrolleure oder spezielle Durchsagen des Busfahrers gäbe. Aber halten wir es leicht und lassen die Trinkflasche des Jungen voller Druck herumspritzen. Das Mädchen würde nach dem ersten Schock in ihrer Tasche nach einem Taschentuch suchen, doch der Junge, wie sollte es anders sein, wäre schneller und streckte ihr seines mit einem sanften Lächeln entgegen. Sie nahm dankend an, er entschuldigte sich für die Sauerei. 

„Ist ja nur Wasser“, würde sie entgegen, vorausgesetzt, es wäre Wasser. Sonst würde sie ihn wütend anschnauzen. Sie hasste auffällige Flecken in ihren Büchern. Detail. In diesem Moment wäre das Selbstbewusstsein des Jungen gefragt. Er musste ihr eine Frage stellen, nichts Doofes, nichts Voraussehendes, interessant und gerne zu beantworten. Fragen wie „Fährst du auch nach Bassersdorf?“, gingen da nicht. Warum würde man sonst im Bus vom Flughafen nach Bassersdorf sitzen? Das müsste aber auch der Fall sein, der Bus nach Bassersdorf. Sind wir ehrlich, auch sonst wäre es eine einfallslose Frage. In unserem Fall stellte er eine tolle Frage, eine Frage, die das Mädchen zum Lachen brachte und sie gerne Antwort gab. Weil sie in dem Moment als sie von ihrem Buch aufschaute, den Jungen sah, nicht mehr an die Wasserflecken denken würde. 

Auf Folgefrage folgten Folgefragen. Wir nehmen das hier einfach an, schliesslich gefielen sie sich, sonst hätte das ganze ja keinen Sinn. Sie fänden heraus, dass sie beide gewisse Menschen kennen, dass es ein Zufall wäre, dass sie sich noch nie gesehen hatten. Und wie klein doch die Welt wäre. Oder vielleicht dachte der Junge längst, dass sie ihm bekannt vorkam. Ein Gespräch haben sie aber noch nie geführt, oder sie haben auch nie einen Kaffee zusammen getrunken. Besonders nicht, weil das Mädchen gar keine Kaffee trinken würde. Doch solche Tatsachen sind logischerweise variabel. 

Sagen wir, sie hätten noch etwa sieben Minuten Zeit sich näher zu kommen. Wie wäre das lösbar? Das Mädchen war doch verabredet und des Jungen Eltern warteten bereits mit dem Abendessen auf ihren Sohn. Also müsste im Bus der Schluss kommen. Ein Happy End, das kein Ende wäre, sondern erst der Anfang. Folgendes sollte aber am Mädchen liegen, ihr flog ja bis dahin alles zu. Die sollte auch etwas dafür tun, dass sie sich gerade in eine wunderbare Geschichte verflechten liess. „Fährst du später wieder mit demselben Bus zurück?“, wäre eine super Frage. Ein gemeinsames Retour wäre perfekt. Dann könnte man sie an ihren Bushaltestellen warten und nervös werden lassen. Beide wären gespannt, ob der andere wirklich auftauchen würde. Und wir hätten mehr Fahrzeit, uns die Geschichte kitschiger und doch realistisch auszumalen. Aber wieso sollte der Junge so lange auf sie warten, wenn er an einem Samstagabend nicht nur bei seinen Eltern verbringen wollte? Entweder müsste man die Geschichte in den Details umschreiben, oder er würde es für das Mädchen tun. Er würde seinen Partykumpels für später absagen und das Mädchen fände eine gute Ausrede um nach dem Essen gleich zu verschwinden, damit sie ihn wieder sehen konnte. Bleiben wir lieber unrealistisch und etwas verrückt. Aber wir würden das Ende offen lassen. Sie würden sich schüchtern und voller Hoffnung im Bus verabschieden. Beide einen angespannten und so prickelnden Abend verbringen, bis sie an den Ort des Abschieds und Wiedersehens eintreffen würden. Wir haben dieses faszinierende Bild der Beiden, wie der Junge dasitzen würde, wartend und hungrig nach Liebe und dem Mädchen, wie sie in den Bus steigen würde. Ein Lächeln ihre Lippen zierte, die der Junge am Liebsten mit seinen berühren wollen würde. Und dann - Zoom - raus. Der Rest der Geschichte gehörte dann nur den Beiden. Wie sie lieben und leiden, wie sie lachen und weinen, wie sie verlieren und gewinnen würden. Wir würden es wissen, aber niemals erfahren.

 

Meine Hände werden ruhig, der Atem langsamer. Ich schnappe nach der letzten Erdbeere im Schälchen und seufze. Ich erinnere mich. Ich sehe dein Lächeln, das wusste, was du in diesen fahrenden zehn Minuten mit mir getan hast. Ich winke dir von der anderen Strassenseite zu, du winkst zurück. Mein nächster Roman wird gespickt sein von diesem inspirierenden cute meet. Ich habe es gewusst, aber du wirst es nie erfahren. Die Erdbeeren in meiner Hand, die Einkaufstüte an meinem Arm, der Rucksack auf dem Rücken und das Handy am Ohr waren Schuld, dass ich aus diesem Bus ausstieg, mit dem Wissen, dass wir, du und ich, unser Moment im Bus mit dem ersten Schritt nach draussen kein Happy End nehmen wird.