- Zuversicht zwischen den Zeilen -
Ich schwebte zwischen Zeilen, ich hing in den Seilen. Zweites wohl eher. Seit über einem Jahr befand ich mich in einer Blockade, die wortwörtlich weggespült wurde. Ich habe mich lange gewundert, habe meine Theorien zu Schreibblockaden versucht anzuwenden, versucht herauszufinden woran es lag, dass ich einfach nicht mehr so schreiben konnte, wie die letzten paar Jahre zuvor, in welchen ich einen Roman nach dem anderen schrieb.
Ich bin ein Mensch. Ich bin Autorin. In mir schlummern Selbstzweifel. Besonders dem Schreiben gegenüber. Mit Selbstzweifel fühle ich mich allein. Aber nun bin ich nicht mehr nur Autorin. Sondern auch Creative & Writing Coach. Junge Menschen, die auf mich zählen, ihnen in einem kreativen Prozess beizustehen. Aber wie, wenn ich selbst nicht damit klarkomme? Kreatives Schreiben hilft in vielen Schreiblagen, sie lenken vom Epizentrum der Zweifel ab. Ablenkung scheint auch meist die beste Lösung zu sein. Aber wenn ich mich seit Monaten in einer meiner intensivsten Schreibblockaden befinde, ist es fast heuchlerisch zu sagen, dass kreatives Schreiben immer hilft. Tut es. Aber in einer emotionalen Schreibblockade dominiert eine Phase, in der ich mir gar nicht helfen lassen möchte, in der ich mich selbst bemitleide und mir das Schreiben unerbittlich zurück sehne, ohne die Energie zu haben es mir zurück zu holen. Es gibt nämlich zwei grundlegend verschiedene „writers block“. Die eine wird durch die Geschichte, das Schreiben ausgelöst, irgendetwas, wobei man als Autor mit dem Text vielleicht nicht einverstanden ist, eine Geschichte, die nicht so verläuft wie geplant, oder die Figuren einem plötzlich langweilig vorkommen, man alles wieder löschen wollen würde (Tut es nicht, bitte!). In diesem Fall lohnt es sich Abstand zu gewinnen. An anderem zu schreiben, Übungen aus dem kreativen Schreiben hinzuzuziehen, dem Knopf auf die Spur zu kommen, um ihn lösen zu können. Dann gibt es aber noch die andere Blockade, die mit einem als Mensch zutun hat. Mit dem Leben, privaten Angelegenheiten. Das kann von der Angst Abschied vom Buch nehmen zu müssen, über Stress und Druck im Alltag, bis hin zu Identitätskrisen und schwierigen Lebensphasen kommen. Diese emotionalen Blockaden, die zu einer Schreibblockade führen. Während man seinen Weg verliert, nicht im Fluss ist, sich nicht nahe ist, sich selbst verliert. Ist das der Fall, würde ich gerne an dieser Stelle mit Rat und Tat zur Stelle sein, aber mein Rezept kann unmöglich jedem gleich guttun.
Nach jedem Buch wollte ich mir eine Pause gönnen, mich erholen von den Geschichten, mehr die Realität erkunden, mich erkunden. Und als ich das tat, habe ich nicht gemerkt, wie meine anderen Welten keinen Platz mehr hatten. Meine Glückseligkeit in der Realität zu finden war ein grosser Erfolg, ich dachte dabei, endlich viele Antworten auf Lebensfragen gefunden zu haben. Dass ich mich dabei nicht mehr in meiner Fantasie verlieren wollte, kommt mir heute logisch vor. Ich wollte alles genau spüren und erkennen. Aber so wie ich in den letzten Monaten verstanden habe, dass ich nicht nur ein Mondkind war, sondern auch die Sonnenseite stets ausleben möchte und muss, weil es schlicht ein Teil von mir ist, habe ich irgendwie vergessen, dass diese Fantasiewelten auch zu mir gehörten.
An einem Höhepunkt spürte ich, dass ich nicht darauf warten konnte, dass sie sich mir wieder eröffneten, sondern dass ich dafür arbeiten musste. Ich begann erneut Interviews mit meiner momentanen Romanfigur zu führen. Es tat gut, aber war nicht des Rätsels Lösung, ein Anfang ja, aber nicht der Schlüssel. In einem zweiten, unbewussten Schritt las ich eines meiner Bücher, das ich nach der Veröffentlichung nie wieder in die Hände nahm. Es war für mich eine abgeschlossene Geschichte, auch meines Lebens und ich wollte mich nicht mehr damit auseinandersetzen. Während des Lesens merkte ich aber, wie genau diese Geschichte von allen unterschätzt wurde. Ich beendete das Buch mit grossem Stolz. Ich fand es toll geschrieben, mit so vielen Infos zwischen den Zeilen, so viel Sprachwitz gespickt wie kein anderes meiner Bücher. Währenddessen schrieb ich auch an einem Kurztext über ein Gartenfest, an dem all meine weiblichen Hauptfiguren an einem Tisch sassen und über das Dasein einer fiktionalen Figur sinnierten. Es brachte sie alle in mein Bewusstsein zurück. Ich begann wieder von ihnen zu sprechen, begann sie dadurch wieder zu fühlen. Sie erinnerten mich an all die Momente in ihren Welten. Am darauffolgenden Abend schrieb mir eine neugewonnene Freundin, die gerade mein erfolgreichstes Buch zu Ende gelesen hatte, eine wundervolle und für mich sehr besondere Nachricht. Sie wurde von der Geschichte verschlungen und konnte all die Gefühle, die ich damals reingesteckt hatte am eigenen Leibe spüren. Auch wenn es sie zum Weinen brachte, waren genau diese Tränen das grösste Kompliment. Diese Nachricht kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie war das zweitletzte Puzzlestück um zur Erkenntnis zu kommen, weshalb ich mich meinen Fantasiewelten so verschlossen hatte. Sie führte dazu, dass es mich reizte, das Ende dieses Romans nochmals zu lesen. Ich weinte bittere Tränen, schluchzte mir die Seele aus dem Leib, weinte um all das Verlorenen und Vergangene meines Autorenlebens. Mehrere Stunden weinte ich, konnte mich kaum beruhigen. Es war als wäre ein Damm gebrochen. Um nun sagen zu können, dass es nicht ein wäre war, sondern der Damm brach und überschwemmte die hohen Mauern meiner Schreibblockade. An diesem Tag schrieb ich das erste Mal seit Langem an meinem neuen Projekt weiter. Das erste Mal seit Langem spürte ich, dass jedes Wort der Wahrheit entsprach und von diesem Ort kam, an dem ich mich lange nicht mehr aufgehalten hatte. Ich verschwand in ihren Welten und versetzte mich in diese typische Trance, die so viele Autoren zu beschreiben versuchen. Ich fliege hoch und kann sie nicht fassen und daher auch nicht in Worte packen. Sowas kann man nicht erklären, sowas muss man erleben um es zu verstehen.
Ich dachte, Ablenkung hätte mich abgehalten, nicht die richtige Musik zu finden, die reale Liebesgeschichte, die wieder ein Ende nahm. Ich suchte überall nach Schuld und Sinn, nach Erklärung weshalb sich das Schreiben plötzlich so schwer anfühlte. Jeder und alles andere war Schuld daran und ich meinte, all diese Probleme auf eigene Faust lösen zu müssen um endlich die Blockade verabschieden zu können. Nie hätte ich gedacht, dass sie einfach überschwemmt werden würde, von meinen eigenen Welten, die erst leicht überschwappten und sich schliesslich nicht mehr bremsen liessen. Bildlich sehe ich einen Staudamm im Gebirge. Die Sonne scheint, aber das Wasser steigt. Bis die Mauer das Wasser nicht mehr halten kann und bricht. Wie ein riesiger Wasserfall ist es endlich frei. Ich bin endlich wieder frei. Schliesslich war es kein Kampf. Ich hatte nichts verloren. Ich war nur hinter einer Staumauer gefangen und wartete in sanften Welle auf den Sturm. Es musste alles so geschehen, wie es geschah. Die letzten Jahre waren wichtig. Zeit für mich zu nehmen, Themen anzugehen, die immer tief in mir schlummerten. Die Sorge, dass dabei meine Geschichten verloren gingen, war im Endeffekt ein Trugschluss. Ich würde sogar behaupten, ich habe diese Pause gebraucht. Diese enorme Schreibblockade. Sie hat mir in anderen Dingen Ruhe eingebracht. Und nun kann ich sie alle leben, all meine Welten und meine Realität. Ich bin bereit all meine Seiten zu leben. Der Sonne ihren Platz zu geben, dem Mond Momente zu schenken, der Fantasie freien Lauf zu lassen, in Bewegung zu bleiben.
Oft habe ich an diesem Text über Schreibblockaden geschrieben, lange war er nur eine Datei auf meinem Laptop. Irgendwas fehlte, ich konnte ihn nicht veröffentlichen, obwohl es mir so wichtig war, meinen Schreibschülern die Machtlosigkeit und Hilfen in Blockaden aufzuzeigen. Ich dachte so oft, dass ich ihnen doch als Vorbild dienen musste. Wie würde ich ihnen helfen können, wenn ich selbst keine Lösung fand? Dabei authentisch zu bleiben, zu erklären, dass wir sie ab und an einfach akzeptieren müssen. Aber ich konnte nichts dazu sagen. Kein Wort hatte die Macht etwas an meiner Situation zu ändern. Und hier kommt vielleicht der springende Punkt. Ich bin Autorin. Diese anderen Welten haben sich mir früh eröffnet und auf gewisse Weise macht diese Unerklärlichkeit den Unterschied zwischen einem Autor und einem Schreiberling aus. Die leichte Brise Verrücktheit, die sich nicht erklären lässt. Ich bin stets der Meinung, das jeder schreiben kann. Auch ich konnte es in den letzten Jahren. Aber es ist nicht die Fertigkeit, die einem zu einem Autor macht, sondern die Kunst.
Ich bin dankbar für diese Zeilen. Ich lebe zwischen ihnen. Denn zwischen all den Zeilen lerne ich immer wieder aufs neue zu fliegen.