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Offener Brief an Gerald Hüther

- In Verbundenheit - 

 

Heute habe ich geweint. Konnte mich kaum beruhigen. Denn eine Nachricht erreichte mich, die mich verängstigte und ich bin kein Mensch, der sich schnell der Angst hingibt. Ich bin eine junge, positive Persönlichkeit, bin in einer liebevollen Familie gross geworden und habe durch die Lehren, die Liebe und Erziehung meiner Eltern, meines Umfelds und durch das Schreiben eine hohe Frustrationstoleranz erlangt. Seit Jahren beschäftige ich mit dem Kreativ- und Selbstbewusstsein der Menschen, habe im Schreiben einen Kanal entdeckt, einen ersten Schritt mit Liebe unser Denken zu revolutionieren. In den letzten 12 Jahren habe ich mich weitergebildet, Menschen getroffen, die ansatzweise taten, was ich vor hatte und ein Buch nach dem anderen verschlungen, in welchen es um Kreativität, Verbundenheit und all dessen Vorteile ging; Förderung der Wahrnehmungsfähigkeit, Selbst- und Fremdverständnis, Achtsamkeit und Resilienz und so vieles mehr, um auf den Nenner zu kommen, den sie als Buchtitel verwendeten; Liebe ist die einzige Revolution. Es wurde meine Berufung durch das Schreiben das vorzuleben.

 

Ich bin keine Wissenschaftlerin, keine Forscherin, habe einen anderen Ausbildungsweg gewählt, aber Menschen wie Sie es sind, haben mir Ergebnisse und Erkenntnisse geliefert, die meine Arbeit prägen, mein Leben prägen. Und ich bin unbeschreiblich dankbar dafür. Sie liefern Worte für meine Gedanken, Beweise für meine Theorien. Ohne Sie könnte ich nicht vor meinen Kursteilnehmenden und hinter allem stehen, was ich ihnen sage. 

Ich habe alte und neue Konzepte des kreativen Schreibens umgestaltet, didaktische und methodische Aspekte aus der positiven Psychologie und den neurobiologischen Ansätze zu Kreativität beigefügt und gebe nun Kurse mit dem Titel „Achtsames Schreiben“. Die Teilnehmenden meiner Kurse, ob jung oder alt, erwarten meist etwas anderes, als mit was sie schliesslich aus meinem Unterricht laufen. Die Resonanz macht mich glücklich. Es kommt an, erschliesst sich in ihren Herzen und mein einziger Wunsch bleibt dabei, dass sie dies in ihren Alltag mitnehmen können. Dass das Schreiben ihnen hilft ihre Kreativität zu fördern und aktivieren, was das für Auswirkungen auf uns hat, muss ich ihnen ja nicht erzählen. 

Ich fühlte mich durch all die Wissenschaftler/-innen, Autoren/-innen, Neurobiologen/-innen, Psychologen/-innen, von welchen ich die Arbeiten gelesen habe, im Rücken gestärkt. Insbesondere von Ihnen und Remo Largo. - Mein Herz tut weh, ich konzentriere mich auf meine Atmung. Remo Largo ist gestorben und im ersten Moment, als ich davon erfuhr, wusste ich nicht, was ich jetzt tun sollte. Weinen war die einfachste Lösung - meiner Trauer, meiner Angst Form zu geben. 

Vor wenigen Wochen habe ich mich mit seinem Verlag in Verbindung gesetzt, hätte ihn für ein Interview treffen können, wenn Corona nicht gewesen wäre und er nicht vertieft sein neustes Buch nochmals zu überarbeiten. Ich hätte so viele Fragen gehabt, hätte so gerne mit ihm in irgendeiner Form zusammen gearbeitet um sein Vermächtnis in die Welt hinauszutragen. Ich hätte ihm so gerne gezeigt, dass es da draussen junge Menschen gab, die für seine Worte kämpften. 

 

„Stell dir vor, die Menschen könnten ihre Talente entfalten, ihre Grundbedürfnisse ausleben und sich ihrer Vorstellungen bewusst werden, es wäre das Ende von Krieg und Gewalt, von Armut und Ausbeutung, eine Revolution!“ (Aus dem Artikel von Linard Bardill, St. Galler Tagblatt, 2020) 

 

Was wenn die Menschen uns verliessen, bevor ihr ihnen zuhörten? Remo Largo hätten wir besser zugehört. Hätten seine Vorschläge im Schulsystem, in der Erziehung angewandt. Wo wären wir heute? Und wer wird nun unser Vorreiter? Denn das ist doch gewiss, wir brauchen solche Menschen wie ihn um den Mut zu haben etwas zu ändern. Und dabei kommt mir ein Zitat von Sam Smith, einem britischen Sänger in den Sinn, der nach dem Wahlsieg von Biden an seine Follower schrieb: „( … ) we all could learn so much if we just listened to each other and accepted our differences. ( … )“ Und mein erster Gedanke bei diesen Worte war: Meiner Meinung nach sollten wir nicht lernen unsere Unterschiede zu akzeptieren, sondern unsere Verbundenheit! Das würde auch ein Zuhören erleichtern. 

 

Ich bin emotional, meine Gedanken kotzen sich auf den Tasten aus. Aber dabei geht es mir um eine spezifische Nachricht. An Sie. 

Meine Angst, dass all die Menschen uns verlassen, bevor wir ihnen zuhören, machte sich bemerkbar, als ich heute Morgen von Remo Largos Tod erfuhr. 

Sie, Herr Hüther leben noch, setzen sich noch ein, haben die Möglichkeit ihr Wissen weiterzugeben. Ich bin jung, mutig, höre zu, bin erst am Anfang von allem, was sie bereits wissen.

 

Und während ich diese Wort „zu Papier“ bringe, spüre ich, wie die Angst sich auflöst und in Energie umgewandelt wird. Die Chance Remo Largo physisch zu treffen habe ich verpasst, aber trotzdem hat er uns viel hinterlassen, dass uns ermutigen soll für eine Entwicklung in der Gesellschaft zu kämpfen. Und ich beende diesen Brief mit Dankbarkeit im Herzen. Ich danke Ihnen und so vielen anderen, die durch ihren Lebensweg, fleissige Arbeit und intrinsische Motivation den Menschen etwas Gutes tun, ohne sich oder die Menschheit selbst zu wichtig zu nehmen. Ich bedanke mich für Ihre unwissentliche Begleitung und Förderung zu erkennen auf dem richtigen Weg zu sein. Die Tränen versiegen, ein Lächeln erstrahlt.