Während Corona habe ich nicht über Corona geschrieben. Vor einer Woche hat die Schweiz nun Corona abgeschafft. Als wäre dessen Aufenthaltsbewilligung abgelaufen. Aber so leicht ist es nicht. In meinem ganzen Umfeld spüre ich Nachwirkungen. Physisch nun erst betrachtend. Alle, die es in den letzten zwei Jahren nicht erwischt hat, traf es in den letzten zwei Monaten dann eben doch noch. Mich hat in der ersten Jahreswoche der Norovirus flachgelegt, vor einem Monat eine fiese Grippe und kurz darauf erkältete ich mich. Etwas, das ich von allen Ecken im selben Stil erfahre. Ich erhole mich. Endlich. Dabei merke ich, dass wir uns eigentlich von Corona erholen wollten.
Mental. Es hätte ein Freudenfest werden sollen, ein neuer Feiertag. Wir können wieder raus, sehen einander in die Gesichter, dürfen an Konzerte, ins Theater, ohne Vorsichtsmassnahmen im Hörsaal sitzen. Normalität sollte eingekehrt sein. Aber nichts ist mehr genau so wie vor zwei Jahren.
Ich habe mich hauptsächlich um meine mentale Gesundheit gesorgt, versucht in meiner inneren Freiheit so normal wie möglich weiter zu leben. Während ich ein bereicherndes Umfeld, tolle Freunde und eine hilfsbereite Familie an meiner Seite habe, ist mir bewusst, dass dieses Glück nicht allen vergönnt ist und Corona dadurch schwierige Prägungen hinterliess.
Jeder hat seinen eigenen Rucksack und alle haben ihn durch diese zwei Jahre weiter gefüllt. Nicht mit demselben Gepäck. Wir sind alle nicht mehr dieselben wie noch vor zwei Jahren. Wir können die Zeit nicht einfach zurück drehen. Wir stehen an anderen Punkten in unseren Leben und das fordert uns heraus, jedes Individuum in seiner neuen Form aufs Neue kennen zu lernen.
Es ist an uns, ob wir diese Bereitschaft haben, zuerst uns selbst zu erkennen und schliesslich die andern.
Was hast du erlebt? Was haben die letzten Jahre mit dir gemacht? Ich verurteile dich nicht. Ich möchte dich sehen, wer du geworden bist, wohin du mit all Narben und Wunden nun gehen wirst. Ich bin dabei an deiner Seite, während ich gleichzeitig meinen Rucksack schultere. Lass uns miteinander wandern gehen. In ein verändertes Ich. In eine Verbundenheit.
März 2020. Ich war frisch getrennt, habe mich zum Übergang bei meinen Eltern einquartiert und hatte keine Ahnung, wie mein nächster Schritt aussehen würde. Aber ich hatte grosses Glück. Der erste Lockdown war wunderbar. Im Haus meiner Eltern gab es Platz, wir mussten alle weiter arbeiten wie gehabt. Wir verbrachten eine wundervolle Zeit miteinander. Waren froh einander zu haben. Es war tolles Wetter und ich war oft bei Freundinnen in ihrer WG. Mehr Leute trafen wir alle nicht. Wir durften nicht. Aber es war okay. Ich war in der Natur unterwegs, schrieb oft und fühlte mich frei. Ja, ich fühlte mich frei.
Dieses Gefühl begleitete mich. Es war für mich das beste Jahr seit Langem. Ich unterrichtete viel. Online. Vertiefte Freundschaften, genoss die Zeit mit meiner Familie und zog im Sommer in mein altes neues Zuhause, in meinem liebsten Stadtquartier. Ich machte Urlaub und entdeckte ein neues Hobby. Me, my SUP, and I. Ich spürte die Veränderungen nicht kommen, ich lebte ein erfülltes Leben, ohne an die Zukunft zu denken.
Silvester habe ich mit den WG-Mädels gefeiert. Wir waren glücklich erschöpft und stiessen um 23.00Uhr aufs neue Jahr an. Um Punkt Zwölf Uhr stand ich bei mir Zuhause auf dem Balkon und betrauerte, dass 2020 zu Ende war. Ein für mich unglaublich tolles Jahr und meine Hoffnung lag darin, dass 2021 eine Fortsetzung dessen werden würde. Wurde es nicht.
Indirekte Konsequenzen durch Corona brachen über mich ein. Das Rad der Fortuna nahm ihren Weg. Und im Sommer war ich zerbrochen. In tausend Stücke und keiner meiner Strategien gingen auf. Es war Zeit aufzuräumen. Mit mir, meinen Vorstellungen meines Lebens.
Ich war nicht die einzige. Das machte sich spürbar. Ich sah allen die Schwere an. Jeder kämpfte um glückliche Momente, Kraft zu tanken, das Leben neu zu ordnen, aber wir waren alle müde. Müde von der Situation, von all den unbeantworteten Fragen, im Innern und Aussen. Die Welt war müde.
Diese Pandemie hat uns geprägt. Jeden von uns. In anderen Dingen. Menschen starben, ihre Hinterbliebenen trauern. Meist allein. Weil das ist, was viele von uns waren - allein, oder gar einsam. Waren sie krank, wurden sie isoliert. Menschen blieben im Homeoffice, obwohl sie ihre Arbeit durch die Zeit mit ihrem Team überhaupt mochten. Menschen, deren Liebessprache „Zärtlichkeit“ ist, mussten ohne Umarmungen zu sprechen lernen. Unsere aller Liebestanks leerten sich, wenn wir uns nicht bewusst darum kümmerten und die Impfung war nicht die Vertreibung dieser Müdigkeit, nein, sie öffnete die Tore zur Aufhetzung.
Während wir im Jahr zuvor gemeinsam auf Balkonen Musik machten, einander unterstützten, verhinderten wir Diskussionen, weil die Fronten so verhärteten, dass Freundschaften, Beziehungen an gespaltener Meinung zerbrechen könnten. Jeder kämpfte für seine individuelle Normalität. Eine nationale Trauer, aber niemand schaute mehr über den eigenen Tellerrand.
Auch ich nicht. Wie sollte ich traurig jemand anderen glücklich machen? Ich zog mich zurück, schraubte an meinem Schicksal und hoffte bloss auf das Jahr 2022. 22. Meine Lieblingszahl. Es sollte mein Jahr werden. Doch da sind überall diese Nachwehen. Wir sind nicht zurück. Noch nicht gesund.
Ein neuer Frühling steht an. So lasst uns weiter wandern, in Bewegung bleiben. Schultern wir unsere Rucksäcke, ohne über dessen Schwere zu urteilen, sehen wir, wer wir geworden sind und wohin wir nun gehen. In eine verändertes Leben. In ein Leben nach Corona. Oder reiten von der Sonne gestärkt und Hand in Hand auf der nächsten Welle.